Maßnahmen- und Forderungskatalog des PopRates Saarland zur Stützung Popkulturtreibender in der Corona-Krise

veröffentlicht am

Politisch Verantwortliche sind zu schneller, unkomplizierter und wirksamer Hilfe aufgerufen

Der PopRat Saarland e.V. begrüßt das überparteiliche Engagement der Landesregierung und der saarländischen Kreise, Städte und Gemeinden zur Eindämmung des Corona-Virus ausdrücklich. Wir haben großes Verständnis dafür, dass die Bedrohung durch das Virus außergewöhnliche Maßnahmen erfordert, die die Gesundheit der Saarländerinnen und Saarländer sowie den sozialen Frieden im Land sichern helfen und unterstützen diese nach Kräften.

Der komplette Zusammenbruch der Event- und Veranstaltungskultur durch die notwendigen Schutzmaßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus aber stellt fast alle Popkultur-Akteure und ihre Branchen und Dienstleisterbranchen, insbesondere die der Veranstaltungsindustrie vom Künstler über die Eventagentur, die Bühnenbauer und die Gastronomie bis zum Sanitätsdienst, vor enorme, oft genug existenzbedrohende Herausforderungen. Schlagartig sind viele Akteure mit einem Totalausfall ihrer Umsätze und Einnahmen konfrontiert und sehen ihre Existenz bedroht. Über Nacht steht der Verlust vieler Arbeitsplätze auf dem Spiel.

Insbesondere Künstler und Veranstalter gehören zu Fundament und Stütze des saarländischen kulturellen Lebens. Insofern muss es im Kern des öffentlichen Interesses liegen, das Überleben dieser Branchen zu sichern. Denn andernfalls erwarten uns nach der Corona-Krise eine Kulturkrise und kulturelle Ödnis im Land. Nur der Mix aus kleinen, mittleren und großen Veranstaltern, aus unbekannteren und bekannteren Bands, Acts, DJs und Künstlern formt ein reiches Kulturleben – die bisherige kulturelle DNA und auch touristische Attraktion des Saarlandes. Deshalb muss auf all diesen Ebenen das wirtschaftliche Überleben der regelmäßig im Saarland tätigen Akteure gesichert werden.

Die aktuell angekündigten Maßnahmen, wie der erleichterte Zugang zu Krediten und die Ausweitung des Kurzarbeitergeldes, sind wohlwollende und begrüßenswerte Aktionen, die jedoch den stark bedrohten Branchen nur wenig nutzen. In den oben beschriebenen Branchen tummeln sich in der Regel in bunter Vielfalt kleine und kleinste Unternehmen mit hohen Umsätzen und geringen Margen, die wenige direkte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigen. Zusätzlich hängt an jeder Veranstaltungsagentur eine Vielzahl von Zulieferern, Künstlern und selbstständigen Subunternehmern, die darüber hinaus oft als Freelancer für unterschiedliche Firmen arbeiten und nicht sozialversicherungspflichtig angestellt sind. Kredite verschieben die Probleme nur unbestimmt in eine ungewisse Zukunft, da ein Kredit auch immer zurückgezahlt werden muss. Und Kurzarbeitergeld trägt dem Problem nicht Rechnung, dass durch Absagen und Verlegungen zusätzlicher Arbeitsaufwand entsteht, wodurch kurzfristig nicht weniger, sondern mehr Arbeit auf die Veranstalter zukommt. Nach der Phase der Mehrarbeit erwartet die Veranstalter dann allerdings eine Phase völlig ohne Arbeit, solange nicht wieder mit der Planung begonnen werden kann. Da Verlauf und Dauer der Krise nicht planbar sind, helfen die bisher angebotenen Instrumente unseren Branchen nicht, den Erhalt der Arbeitsplätze mittel- und langfristig zu sichern.

Durch die Absage von Veranstaltungen entstehen auf Veranstalter- und Künstlerseite enorme Kosten, etwa Honorarausfälle oder Verbindlichkeiten durch Stornierungskosten, Ausfallgagen und vieles mehr. Diese zusätzlichen Kosten lassen sich nicht durch Kredite abfedern, da die daraus entstehenden Raten sonst durch zukünftige Veranstaltungen getragen werden müssten. Dies ist in ohnehin äußerst knapp kalkulierten Branchen mit geringen Margen nicht zu realisieren. Es verhindert keine Insolvenz, es verzögert sie nur und sorgt im schlimmsten Fall aufgrund nötiger privater Bürgschaften für Privatinsolvenzen.

Aus der behördlichen Absage von Veranstaltungen ergeben sich letale Probleme für unsere Branchen. Dies zeigt sich vor allem an folgenden Sachverhalten:

  1. Aktuell ist der Veranstalter verpflichtet, bei einer von Behörden abgesagten Veranstaltung dem Eigentümer des Tickets den vollen Kaufpreis zurückzuerstatten, unabhängig davon, ob der Veranstalter einen Ersatztermin anbieten kann oder nicht. Diese Rechtslage überträgt dem Veranstalter die volle finanzielle Last der behördlich abgesagten Veranstaltungen. Rückerstattung an den Gast auf der einen Seite. Stornokosten und Ausfallgagen auf der anderen. Dass diese Praxis sehr schnell zu Insolvenzen führt, dürfte jedem schnell einsichtig sein. Die aktuelle Situation ist in dieser Hinsicht doppelt schwierig, weil aufgrund der nicht planbaren Dauer nur schwer neue Termine gefunden werden können und viele Kunden extrem verunsichert sind und sich lieber ihr Ticket erstatten lassen, als auf einen unsicheren neuen Termin zu vertrauen. Außerdem wird es extrem schwierig, mit den abgesagten Künstlern neue Termine zu finden, da das Jahr nicht länger wird und einem Künstler nur begrenzt Zeit zur Verfügung steht.
  2. Geplante Einnahmen durch Ticketverkäufe an der Tages-/Abendkasse und weitere Einnahmen im Zusammenhang mit dem Event wie Gastronomie, Standgebühren und mehr bleiben aus, während Kosten wie Saal- und Technikmiete verbleiben beziehungsweise Zusatzkosten durch Terminverlegungen entstehen.
  3. Viele Akteure der Branche arbeiten als Freiberufler und Selbstständige. Dies betrifft beispielsweise Veranstalter, Künstler, Licht- und Tontechniker, Stagehands und viele mehr. Da sich diese Personengruppen in einem Niedriglohnsektor bewegen, verfügen sie in der Regel nicht über große Rücklagen und sind auf stetige Aufträge angewiesen. Mehrwöchige Ausfälle können sie nicht überbrücken. Die Folge: Sie verlieren innerhalb kürzester Zeit ihre Existenz. Besonders tragisch ist dies, weil diese Personen eben nicht sozialversichert sind und dadurch keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben.
  4. Eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter in einer Veranstaltungsfirma organisiert und führt Veranstaltungen durch. In der aktuellen Lage sind die Branchen in der ersten Phase (aktuell) überlastet mit der plötzlichen Absage von einer Unzahl von Events, die rückabgewickelt werden müssen. Ist diese eher kurze Phase vorbei, haben Firmen wie Künstler aber nichts mehr zu tun. Die Produktion herunterzufahren ist nicht möglich. Entweder man organisiert eine Veranstaltung oder man tut es nicht. Ein Event langsamer oder weniger zu produzieren, wie es unter Umständen in der verarbeitenden Industrie möglich ist, ist in unserer Branche leider keine Option. Dies wird sehr schnell dazu führen, dass nach der Phase der Rückabwicklung trotz Kurzarbeitergeld die Agenturen ihren Mitarbeitern kündigen müssen, um eine Chance zu haben, die dann folgende Phase unbestimmter Dauer des Nichtstuns zu überleben. Dieses Problem lässt sich auf eine einfache Formel bringen: kein Geld und keine Arbeit – dadurch kein Nutzen durch Kurzarbeitergeld.

Daraus resultierende, konkrete Forderungen:

Da die Auswirkungen auch die saarländischen Popkultur-Akteure und ihre Branchen unmittelbar und plötzlich treffen, sind sie genauso auf unmittelbare und plötzliche Hilfen angewiesen. Wir stellen deshalb – orientiert an und basierend auf dem Maßnahmenkatalog des BDKV (Bundesverband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft) –   folgende konkrete Forderungen an alle politisch Verantwortlichen:

  1. Die Veranstaltungsbranche mit all ihren Zweigen wie Live-Entertainment, Messen, Conventions und mehr sollte von staatlicher Stelle dringend ganz offiziell als eine der am stärksten und härtesten von den Covid19-Maßnahmen betroffenen Branchen eingestuft werden.
  2. Da eine schnelle und damit sofort wirksame Änderung der Rechtslage bezüglich der Rückerstattungspflicht bei höherer Gewalt auf Landesebene eher unrealistisch ist, fordern wir einen Ausgleichsfonds für entgangene Erlöse durch rückerstattete Tickets, nicht verkaufte Tickets oder ausbleibende gastronomische und weitere angegliederte Einnahmen.
  3. Außerdem benötigen gerade Künstler und Veranstaltungsdienstleister schnell einen, auch vom BDKV (Bundesverband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft) geforderten, staatlichen Nothilfefonds, um ihre Existenzen zu sichern.
  4. Um Arbeitsplätze in Agenturen zu erhalten, braucht es zudem eine noch erweiterte Übernahme der Lohnkosten über das Kurzarbeitergeld hinaus, da viele Veranstaltungsagenturen im Shut Down für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter keinerlei Beschäftigung mehr anbieten können.
  5. Es braucht dringend einen Landes-Koordinator oder eine Landes-Koordinatorin, der im Auftrag von und im Zusammenspiel mit Staatskanzlei, Wirtschaftsministerium, Kulturministerium sowie den Landkreisen und Städten und Gemeinden Lösungen erarbeitet und sich um die schnelle Verteilung freigeschlagener Gelder kümmert. Hier wäre auch wichtig, dass sich dieser Koordinator oder diese Koordinatorin dafür einsetzt, dass auch auf Bundesebene eine gemeinschaftliche Lösung für Hilfsmaßnahmen in Bezug auf die Veranstaltungs- und Kulturbranche und die anhängenden Betriebe gefunden wird.
  6. gegenüber den betroffenen Akteuren (zum Beispiel Einkommensteuernach-zahlungen und -vorauszahlungen) müssen in dieser Übergangszeit unbürokratisch gestundet werden. Drohenden Steuerschuldvollstreckungen ist Aufschub zu gewähren, von der Erhebung von Stundungszinsen ist abzusehen.

Was unsere europäischen Nachbarn tun:

(Quelle: https://bdkv.de/wp-content/uploads/2020/03/Ma%C3%9Fnahmenkatalog-f%C3%BCr-Veranstaltungswirtschaft_.pdf)

In Frankreich steht die Regierung bereits seit Erlass der ersten Veranstaltungsbeschränkungen im ständigen und konkreten Austausch mit den Gewerkschaften und Verbänden der Produzenten und Veranstalter. Die Regierung hat inzwischen die Live-Entertainment-Branche als eine der drei am stärksten von der Covid19-Krise betroffenen Industrien eingestuft und plant aktuell spezifische Support-Fonds zur finanziellen Unterstützung der Branche.

In Dänemark hat die Regierung zeitgleich mit dem Erlass von Veranstaltungsbeschränkungen ein Programm aufgelegt, mit dem die betroffenen Veranstalter für die durch Absage oder Verlegung ihrer Veranstaltungen erlittenen Einbußen entschädigt werden sollen. Das Programm sieht direkte Ausgleichszahlungen für die erlittenen Umsatzeinbußen oder die Zusatzkosten von Verlegungen vor.

In Italien sind mit Blick auf die infolge von Covid19 erforderlichen weiträumigen Verlegungen von Veranstaltungen die steuerlichen Vorschriften, die bislang eine Verlegung bei Gültigkeit des ursprünglichen Tickets nur für maximal 60 Tage zuließen, auf 365 Tage erweitert worden. Zugleich wurde kommuniziert, dass sich an dieser neuen Frist nun auch die Frage der Zumutbarkeit der Verlegung für den Besucher orientiere. Der Veranstalter erhält damit also deutlich mehr Planungssicherheit.

In Luxemburg werden schnelle und unbürokratische finanzielle Hilfen zur Existenzsicherung speziell für Künstler zur Verfügung gestellt. Außerdem wird es Subventionen für abgesagte Projekte sowie Staatshilfen für kleine und mittlere Unternehmen der Branche geben. (Quelle: https://gouvernement.lu/fr/actualites/toutes_actualites/communiques/2020/03-mars/17-secteur-culturel-covid19.html)

Dieser Maßnahmenkatalog als PDF.


0 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert